Ja, wir kennen doch alle die Aussagen, wo es besser und wo es günstiger ist. Ich bediene mich dem Klassiker des Espresso in Italien im Vergleich mit dem Espresso in Zürich. Und ja, natürlich vereinfache ich und stelle das Thema plakativ dar. Ich bezwecke damit zwei Dinge.
Hört auf Äpfel mit Birnen zu vergleichen, auch wenn alles Espressi (wie auch immer das mit der Mehrzahl ist) sind.
So viel ich weiss, verwenden die Italiener den bei uns gebräuchlichen Ausdruck „gehen wir einen Kaffee trinken“ um sich für eine Stunde zu treffen oder auszutauschen, nicht. Einen Espresso wird an der Bar im Stehen, im Vorbeigang getrunken. Man quatscht mit dem, der auch immer dort ist und geht danach, so nach 10 Minuten, seinen eigenen Weg weiter. Ciao! Arrividerci.
In Zürich, da trifft man sich in der Stadt auf einen „Espresso“ und man reserviert sich so eine Stunde um sich zu unterhalten. Man sucht einen netten Platz, es geht auch um das „sehen“ und „gesehen werden“. Alternativ nimmt man den Kaffee „to go“. Bei beiden ist die Leistung „Espresso“ mit einem vergleichbaren Preis ausgestattet.
Wir machen einen kleinen Szenenwechsel, bleibt beim Text dabei, ihr braucht für das Verständnis alle Einsichten. Und ja, es wird sich für Euch lohnen, ihr werdet Angebote aus einem erweiterten Blickwinkel betrachten und Euer Angebot auch besser argumentieren als über den Preis und zu rechtfertigen. Und wenn ihr es kapiert, könnt Ihr auch besser auf die Bedürfnisse der Kunden eingehen.
Hier beginnt die Geschichte:
Wir sind in Zürich, City Kreis 1, gute Passanten Lage. Wir bekommen Kaffee, Tee, Mineralwasser, Kuchen, Sandwiches, Birchermüesli und was sonst noch im mondänen Zürich gefragt ist. Unser Kaffee hat 30 Sitzplätze, ein Barista und eine Servicefachkraft (aktuell begehrt auf dem Arbeitsmarkt) sowie ein Runner, der abräumt, aufräumt, abwäscht. Brechen wir die Bruttosaläre vom Monat je Person auf einen Tag (von 8 Stunden) herunter. Barista CHF 200.00, Service CHF 180.00 (Gender-Pay-Gap), Runner CHF 120.00. Personalkosten pro Tag CHF 500.00. Wir lassen die Personal-Nebenkosten grosszügig weg.
(Was rechnet ihr jetzt so alles aus?)
Wechseln wir nach Italien. Francesco hat seine Kaffeebar, auch 30 Sitzplätze, „Ritrovo degli amici“. Bei ihm finden sich die Panini im Angebot, Kaffee und Mineralwasser. Francesco ist alleine, seine Kinder und seine Frau helfen manchmal mit. Francesco verdient am Tag 200.00.
Wieder in Zürich steht ein Takeaway, neben Backwaren und abgepackten Produkten sowie Getränke gibt es auch Kaffee to go. Stefan steht hier 8 Stunden am Tresen und verdient 200.00 am Tag. Aber nur während den Semesterferien und am Wochenende.
Was kaufst Du nun als Kunde und was bezahlst Du dafür?
Du triffst Dich also in Zürich zum „Espresso“, ihr trefft Euch so um 16.00, ein wenig früher Feierabend. Ein nettes Kaffe, Aussenplätze an schöner aber ruhiger Lage, leicht versteckt. Du und Deine Begleitung besetzt nun einen Tisch zu zweit (4 Quadratmeter) für eine Stunde. Diese 4 Quadratmeter kosten pro Tag eine Miete von CHF 48.00. Also bei den 8 Stunden Öffnungszeit ist die Miete für Deinen Platz, den Du belegst, bei CHF 6.00. Du und Deine Begleitung haben neben einem Cappuchino und einem Espresso noch eine Flasche Mineralwasser geteilt (ist ja so teuer in Zürich), aber es war ganz gut und ihr bezahlt zu zweit einen Preis von Total 18.00 inklusive einem bescheidenen Trinkgeld. Immerhin der Kaffe war toll, die Bedienung nett und es gab auch ein Selfie für Socialmedia.
Nur ein paar Meter weiter:
Im Takeway an bester Lage belegst Du keinen Platz, wenn Du deinen Espresso holst. Der Takeway besetzt eine Fläche von bescheidenen 20 m2, die Kosten je Tag belaufen sich dort auch auf 750.00. Aber Du kaufst hier ja auch nur ein Espresso auf dem Weg ins Geschäft, mit einem hässlichen Plastickdeckel drauf und bezahlst CHF 3.00 und verbrennst Dir so halbwegs die Lippen mit einem Gebrüh, das wenigstens ein wenig Koffein hat. Aber hier wegem dem Espresso extra vorbei gehen? Wohl kaum. Immerhin, du kommst halbwegs wach im Büro an.
Eine Tagesreise nach Süden entfernt:
Francesco hat das Lokal von seiner Mutter übernommen, er bezahlt ihr die Miete, das Haus ist ihre Altersvorsorge. So um die 100 Euro pro Tag gibt er seiner Mutter ab. Du bist auf dem Weg in die Stadt um ein wenig Sightseeing zu machen, hälst bei Francesco, schnupperst ein wenig Italianita, schlürfst deinen Espresso, hälst 10 Minute inne und ziehst dann weiter. Der Espresso war super, Francesco freundlich, auch wenn es überall noch Geschirr auf den Tischen hatte, Italianita, ein schönes Erlebnis und der Espresso war super. Er hat nur 1 Euro gekostet, du hast grosszügig noch 20 Cent Trinkgeld liegen gelassen. Du hast während 10 Minuten einen Quadratmeter besetzt, das wären so umgelegt knapp 20 Cent Raumkosten.
Abgesehen von den Zahlen, die ich Euch um die Ohren gehauen habe, habt ihr die Leistung in Eure Birnen gekriegt? Was bekommt ihr für ein Apfel und ein Ei? Aber vorallem, was kostet ein Espresso?
Grob gerechnet 20 Rappen. Mit Kosten der Maschine, Wasser, Kaffeebohnen, Mühle und der Energie. Aus Kapseln zu Hause kostet er wesentlich mehr auch wenn ihr da weniger bezahlt.
Alles rund um das Produkt „Espresso“ ist Leistung. Es ist die Lage (Kaffee in Zürich), es ist die Zubereitung (Barista), der Service, die Sauberkeit. Es ist die Geschwindigkeit (Take away, schnell convinient), es ist das Publikum (Francesco kennt so viele tolle Leute und ist immer für einen guten Spruch da). Es ist die Altersvorsorge der Mutter, die das Gebäude gekauft hat und Francesco das Kaffee vermietet. Es ist Deine Altersvorsorge, oder deine Kapitalanlage mit Rendite, falls das Lokal in Zürich einer Pensionskasse oder einem Immobilienfonds gehört. Es ist Deine Bequemlichkeit, weil Du den Kaffee nicht zu Hause zubereiten wolltest und in einen Mehrwegbecher füllen.
Wenn Du also in Italien (im Urlaub) stehend einen Espresso in einer kleinen Bar auf dem Weg in das Zentrum für einen Euro trinkst (im Zentrum sind es dann auch gerne mal zwei, oder am Markusplatz auch eher zwanzig), 10 Minuten verweilst, oder in Zürich auf dem Weg in das Büro noch „schnell“ einen Kaffee beim Takeaway holst für drei Franken oder doch auf der Promenande mit Deiner Begleitung einen Cappuchino für 6 Franken geniesst, dann sind es zwar drei vergleichbare Produkte, aber es sind total unterschiedliche Leistungen und Ausgangslagen.
So, aber was nutzt Dir das bei der Erstellung des Angebotes oder bei der Einforderung eines Angebotes. Oder was hilft Dir das nun in der Kalkulation?
Und damit sind wir beim zweiten Ding, das ich bezwecke. Beginnt die Leistungen zu spezifizieren, beginnt die Leistungen zu bewerten. Beginnt die Leistungen zu hinterfragen. Und packt „zusätzliche Leistungen“ nicht einfach so in einen Preis oder erwartet diese auch nicht darin.
In meiner Tätigkeit durfte ich schon öfters in Unternehmen hinein sehen, welche im Bereich Leistung und Preis sich der enthaltenen Komponenten, deren Wichtigkeit, deren Wirksamkeit gar nicht bewusst waren. Und oft auch nicht die Veränderung im Markt und der Anforderung verstanden haben. Aber für mich die schlimmste Aussage: „Wir sind einfach zu teuer“.
Hinter dieser Aussage steht ganz klar, wir wissen gar nicht, was wir anbieten und was die Konkurrenz anbietet. Und wir können unsere Leistung nicht argumentieren.
Teuer wirst Du, wenn Deine Leistung nicht auf das Bedürfnis des Kunden abgestimmt sind. Oder Deine Prozesse nicht mehr den Anforderungen des Marktes entsprechen. Oder Deine Kalkulation auf Grundlagen beruht, die so nicht mehr existieren. Und Du verlierst Profitabilität.
Liebe Kollegen, hier ist das Marketing und das Controlling in der Pflicht. Es geht um die Gestaltung des Marktangebotes. Das Marketing muss die Produkte und Leistungen definieren und es braucht nicht mehr Marketing für die Promotion. Es braucht mehr Marketing, damit Du weniger Promotion machen musst. Gute Leistung spricht sich herum, je agressiver die Werbung umso fraglicher die Leistung (heisse Luft hat das mal ein Marketinglehrer genannt). „Branding“ wird als Heilmittel verkauft respektive verkauft. „what else?“
Lassen wir hunderte Espresso to go hinaus oder erhalten unsere Kunden gleich auch noch eine Maniküre mit dem Espresso angeboten? Verkaufen wir übhaupt Espressi? Haben wir den „Gast“ in der Gastronomie oder nur das Produkt „Espresso“? Und ja, wir können wunderbar auf der Gastronomie und ihren Auswüchsen, Fehlern und allem herumreiten, da gerade hier viele „Quereinsteiger“ und Besserwisser unterwegs sind (aber den Knochenjob oft nicht verstanden haben), aber ein besseres Beispiel wo wir alle mit unserem Halbwissen mitreden können, das habe ich gerade nicht zur Hand.
Ihr mögt vielleich lächeln, ab den „dummen Wirten“. Doch eines kann ich Euch sagen: Erfolgreiche Gastronom beherrschen die Kalkulationen aus dem FF. Sie wissen ganz genau, wieviel Geld die Gäste in welchem Mix während ihres Aufenthalts ausgeben müssen und wie lange sie die Plätze belegen können, damit es sich rechnet. Sie wissen ganz genau, wenn Sie Kapazitäten hinauf schrauben müssen und wann sie die Leute nach Hause schicken können. Sie wissen genau, welches Angebot zu welcher Zeit für welches Publikum. Sie wissen auch genau, was die Veränderungen in den Kosten oder in den Ressourcen für Effekte haben. Sie spielen mit dem Ambiente, adaptieren und optimieren. Stetig. Und das ganze ohne „professionelles“ QM als Stabsstelle sondern, weil es in ihrem Fleisch und Blute liegt.
Kennt Ihr Eure Leistung und wisst Ihr, welches Eure Stellschrauben sind und viel wichtiger, wisst Ihr wie reagieren, wenn eine der Faktoren sich verändert?
Habt Ihr Euere Leistung und Eure Kosten auf Fix und Variabel aufgeteilt? Habt ihr diese auf Eure verrechenbaren Einheiten (Stück / Stunden) und auf Eure voraussichtliche Leistung umgelegt? Also von der Zahl im Jahresbudget hinunter auf die einzelne verrechenbare Einheit. Kennt Ihr Euren Mix an Leistungen und Konditionen?
Ein paar Häuser weiter, vor dem idyllischen Kaffee in Zürich stellt das Bauamt Absperrungen auf. Eine geplatzte Wasserleitung. Zum Glück kennt das Team seine Kostenstruktur. Sie schliessen auch gleich für zwei Wochen um eine sanfte Renovation des Gastraums vorzunehmen. Auch werden sie eine Feldstudie bei Francesco in Italien machen, um heraus zu finden, ob der Espresso wirklich fünf mal besser schmeckt und ob er auch tatsächlich fünf mal billiger ist.
Also, wenn ihr zu teuer seit, dann seht Euch das Angebot Euerer Konkurrenz an. Entweder bietet ihr die Falsche Leistung, habt die Falschen Kunden oder ihr habt tatsächlich ein Thema in Eurer Kostenstruktur und Euren Prozessen. Kommen wir doch zu den einfachen Elementen, die einen Preis ausmachen.
Standardisierung. Der Takeaway brüht nur den Kaffee frisch auf, der Rest im Angebot sind Fertigprodukte, die zugekauft werden. Keine Küche, nur Kühler. Wenig auswahl, schnell, teuer (man geht nicht geplant zum Takeaway um ein Produkt zu kaufen). Wenn Ihr mit Euerem Angebot schnell seit, dann sind die Kunden auch nicht so preissensitiv. Je schneller umso höher der Preis (weil auch keine Vergleichsmöglichkeit). Der „Schlüsseldienst“-Approach, falls ihr hier ein Schlagwort wollt.
Individualisierung. Wenn das Kaffee noch den Namen auf den Becher schreibt, dann wird es Individuell und teuer (kleiner Seitenhieb), auch wenn der Kaffee nur halbwegs schmeckt. Anders wird es, wenn die Leistung mit dem Service, dem Erlebnis zusammen hängt. Wenn etwas angenehm gestaltet ist, wenn neben dem eigentlichen Produkt die anderen Komponenten wesentlich die Leistung dominieren. Ob Instruktion, Beratung, Ausbildung, Service, Gewährleistung oder auch der Wunsch nach Vertrauen. Auch wenn es ein Standardprodukt ist, die Leistung ist auf den Kunden zugeschnitten. „Boutique“.
Skalierung! Buzzword, aber einfach. Ihr beginnt mit einem „neuen“ Angebot, das einen gewissen Charakter von „exklusivität“ besitzt und auch keine Konkurrenz. Innovation. Euer Weg, mit etwas neuem Geld zu machen heisst, von Anfang an die Prozesse so vorzusehen, dass jede Indiviuallösung zu einem späteren Zeitpunkt ohne wesentlich höheren Einsatz der Ressourcen repetiert werden kann. Also bereits früh die Ressourcen und Prozesse auf eine effiziente Infrastruktur ausrichten, die variablen Kosten (Kosten, welche mit der Leistung anfallen) sind hier weniger auf „sinkend“ eingesetzt, wie es bei der Industrialisierung mit höherer Stückzahl vorgesehen ist, es wird in erster Linie vermieden, Sprungfixe-Kosten zu haben. Somit bedeutet mehr Leistung mehr Deckungsbeitrag ohne die Anforderung an zusätzliche Fixkosten (oder Ressourcenbindung).
Also. Wie arbeitet Ihr? Kennt Ihr Euer Modell oder verfolgt ihr ein komplett anderen Ansatz? Ich errate Euch nun einen nächsten, wirkungsvollen Ansatz.
Spass! Ja, macht Dinge, die Euch Freude machen, macht Dinge, welche den Kunden Freude machen. Und verlangt Preise, die Euch Freude machen. Egal, welches Businesmodell ihr verfogt. Wenn Ihr nichts verdient, macht es keinen Spass (und das spürt auch der Kunde). Wenn Ihr an der Arbeit kein Spass habt, weil vieles schief läuft, dann habt ihr intern Potential. Wenn der Kunde kein Spass hat, mit Euch zusammen zu arbeiten, dann habt Ihr sein Bedürfnis nicht verstanden oder, dann hat der Kunde nur den Preis im Kopf. In dem Sinne: Trinkt keinen Espresso, wenn ihr ihn nicht mögt und versucht schon gar nicht diesen zuzubereiten oder zu verkaufen.
Autor
Adrian Gasser
Begleitet seit 20 Jahren Unternehmen im Aufbau oder bei Neuausrichtung im Bereich Finanzen mit Schwerpunkt Kalkulation, Prozesse und Qualität. Liebt guten Espresso.
Bild
Adrian Gasser, Tasse Geschenk der Tochter, Espresso von Delizio „Intenso“
Weiterführende Hintergründe zu den Kaffeepreisen gibt es hier.