Der Regierungsrat des Kantons Thurgau hat zuhanden des Grossen Rates die Botschaft zum neuen Gesetz über die Finanzierung von Leistungen für erwachsene Menschen mit Behinderung verabschiedet. Mit dem neuen Gesetz wird die bisherige komplexe Finanzierung von Behindertenheimen vereinfacht und eine klare gesetzliche Grundlage geschaffen; genauso wie für die Finanzierung von Leistungen für Menschen mit Behinderung ausserhalb einer Institution.
Menschen mit einer Behinderung verspüren vermehrt den Wunsch, nicht einfach in einer Institution untergebracht zu werden, sondern zwischen Institutionen und verschiedenen Angeboten im stationären und ambulanten Bereich wählen zu können. Das vorliegende Gesetz zur Finanzierung von Leistungen für Menschen mit Behinderung (FLEMBG) regelt lediglich die Finanzierung der einzelnen Leistungen, überlässt aber die Wahl des jeweiligen Angebots den betroffenen Menschen mit Behinderung.
Entsprechend hat das Gesetz auch eine andere Gliederung und einen anderen Titel erhalten als die Vernehmlassungsversion. Zuerst wird in einem allgemeinen Teil der vom Regierungsrat bereits früher beschlossene und in der Vernehmlassung bestätigte Grundsatz «ambulant vor stationär» festgehalten. Danach werden die Grundsätze der Beitragsgewährung, die Anspruchsberechtigung der Leistungserbringerinnen und Leistungserbringer sowie die Mitwirkungspflicht und Rückerstattung geregelt.
Mit der Annahme des Bundesbeschlusses über die Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen am 28. November 2004 (abgekürzt NFA) ging die Zuständigkeit für die Finanzierung der Institutionen für Menschen mit Behinderung vom Bund an die Kantone über. Seit dem 1. Januar 2008 obliegt es den Kantonen, die Eingliederung von Menschen mit Behinderung durch Beiträge an den Bau und den Betrieb von Wohnheimen, Werkstätten und Tagesstätten zu fördern. Im Kanton Thurgau ist die Finanzierung von Einrichtungen für Erwachsene mit Behinderung bisher im Sozialhilfegesetz und der Sozialhilfeverordnung sowie in verschiedenen Richtlinien geregelt. Der Regierungsrat hat die gesetzlichen Grundlagen überprüft und entschieden, die Finanzierung zu vereinfachen und auf eine klare gesetzliche Grundlage zu stellen.
Auch ambulante Angebote ins Gesetz integriert
Für erwachsene Menschen mit einer Behinderung stehen im Kanton Thurgau 37 Einrichtungen mit einer kantonalen Bewilligung zur Auswahl. Mit 24 Einrichtungen besteht ein Leistungsvertrag, mit 13 Einrichtungen besteht kein Leistungsvertrag. Es existieren zudem verschiedene ambulante Angebote. Mit dem neuen Gesetz will der Regierungsrat das transparente und zeitgemässe Finanzierungsmodell der subjektorientierten Objektfinanzierung einführen. Gemäss diesem Modell erhalten die Einrichtungen eine Pauschale, welche die Kosten für die Betreuung, Verpflegung, Wäscherei, Energie und Verwaltung enthält und die Instandhaltung, Instandsetzung oder den Neubau von Immobilien abgilt. Dies gibt den Einrichtungen Planungssicherheit und erhöht den unternehmerischen Freiraum. Gleichzeitig werden die Kontrollaufgaben für den Kanton reduziert. Ausserdem sieht das Gesetz vor, gleiche Rechte und Pflichten für alle beitragsberechtigten Einrichtungen und Angebote zu schaffen, weshalb die Kategorie «Einrichtung ohne Leistungsvertrag» keine Beiträge mehr erhalten wird. Da die Umstellung grundlegender Natur ist, sieht das Gesetz eine grosszügige Übergangsfrist von zehn Jahren vor.
Der Regierungsrat hat im Oktober 2015 betreffend Ausbau von Wohn- und Tagesstrukturplätzen für erwachsene Menschen mit einer Behinderung entschieden, das ambulante Betreuungsangebot prioritär zu fördern. Dieser Grundsatz wird neu ebenfalls ins Gesetz aufgenommen und die gesetzliche Grundlage für die Regelung des Assistenzbudgets, des begleiteten Wohnens sowie für Entlastungsangebote geschaffen. Damit wird den Wünschen der Betroffenen Rechnung getragen.
Arbeitsgruppe für die Anliegen von Menschen mit Behinderung eingesetzt
Verschiedene Rückmeldungen empfahlen im Rahmen der Vernehmlassung, das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung der Vereinten Nationen (UNO-Behindertenrechtskonvention) im Gesetz abzubilden. Aus Sicht des Regierungsrates ist die Umsetzung des Anliegens im Rahmen dieser Revision nicht zielführend, weil diese Revision lediglich die Finanzierung von Leistungen betrifft. Der Inhalt der UNO-Behindertenrechtskonvention geht wesentlich weiter und betrifft Bereiche wie Bildung, Arbeit, Gesundheit, Mobilität, Zugänglichkeit, Sicherheit und besonderer Schutz. Deshalb hat der Regierungsrat am 26. April 2022 eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe eingesetzt, in der auch Menschen mit Behinderung und deren Angehörige vertreten sind. Die Arbeitsgruppe hat den Auftrag, bis Ende 2023 einen umfassenden Grundlagenbericht zum Stand der Umsetzung der UNO-Behindertenrechtskonvention und möglicher Umsetzungsfelder zu erstellen, sodass dem Kanton die notwendigen Entscheidungsgrundlagen vorliegen.